Der Twizy im Senglartest

von Andreas Hungele | 30.04.2012

Der Twizy von schräg hinten...

Der Twizy von schräg hinten...

...und von schräg vorne

...und von schräg vorne

Der Twizy: Überdachter Roller mit vier Rädern oder Auto?
Ein Blick auf die Fahrzeugpapiere klärt auf: L7e, also ein Leichtkraftfahrzeug zur Personenbeförderung mit maximal 15kW. Der Buchstabe „L“ macht damit nach den Regeln des KBA aus dem Twizy ein Kraftrad.
Der Twizy steht so auf einer Stufe wie die verbreiteten Offroad-Quads.
Damit sind wir bei der (Streit-)Frage welche und wie viele Kennzeichen an den Twizy müssen.
Ein Besuch der einschlägigen Foren führt zu einem umfangreichen Lesestoff.
Die Möglichkeiten und Erfahrungen reichen dabei von einem Motorradkennzeichen (neues Format) über zwei Motorradkennzeichen (hinten und vorne) zu zwei Pkw-Kennzeichen.
Ich bin einmal gespannt, wie das bei unserem Twizy ausgeht.
(Renault gibt in den Unterlagen die Verwendung von zwei Kennzeichen an).

Auch spannend die Antwort auf die Frage, ob Streckenverbote für Motorräder auch für den Twizy gelten sollen.
Ich hab jedenfalls am Test-Wochenende den Twizy als Pkw eingesetzt.
Damit tritt dann auch die Frage nach Warndreieck, Warnweste und Verbandskasten auf
Egal, los geht’s!

Einsteigen und Losfahren
Die Türen lassen sich nach Betätigung der innen liegenden Türverriegelung leicht öffnen, sie werden dabei von einem Gasdruckdämpfer unterstützt.

Der Twizy von oben, mit geöffneter Türe hat er eine Höhe von 1,98m

Der Twizy von oben, mit geöffneter Türe hat er eine Höhe von 1,98m

Um dem Beifahrer das Einsteigen zu ermöglichen, kann und muss der Fahrersitz nach vorne geschoben werden.
Zusätzlich zur der üblichen vorderen Entriegelung gibt es auch eine Entriegelungsschlaufe hinten unten am Fahrersitz. Der Beifahrer muss schon einigermaßen gelenkig sein, um den Twizy zu besteigen, “einsteigen“ beschreibt diesen Vorgang nicht genau genug. Im Ergebnis landen die Füße des Beifahrers neben den Oberschenkeln des Fahrers.
Das Einsteigen des Beifahrers erfolgt wegen Sicherheitsgurtes des Fahrers am besten von der rechten Fahrzeugseite aus.
Der Beifahrer sieht nach vorne außer der Rücklehne des Fahrersitzes wenig. Es bleibt nur der Blick seitlich am Sitz vorbei, das hat etwas vom Motorrad fahren.
Für den Fahrer ist das Einsteigen einfach, und die Türen lassen sich dann auch leicht schließen.
Für den Fahrer gibt es einen Dreipunktgurt und einen zusätzlichen Zweipunktgurt, der die rechte Schulter zurückhalten soll.

Das übersichtliche Cockpit: zwei Handschuhfächer, das rechte ist abschließbar, das linke beinhaltet die 12V-Steckdose

Das übersichtliche Cockpit: zwei Handschuhfächer, das rechte ist abschließbar, das linke beinhaltet die 12V-Steckdose

Im Lenkrad befindet sich auch der einzige Airbag des Twizy.
Mit dem Zündschlüssel wird das System gestartet, dann bei getretener Bremse die Handbremse gelöst, und schließlich per Fingerdruck die Fahrstufe D eingelegt.
Leichter Druck aufs Gaspedal, und der Twizy rollt los.
Das Anfahren oder Halten am Berg lässt sich über ein leicht getretenes Gaspedal regeln. Wenn man beispielsweise an einer Ampel hält und dabei die Handbremse nicht zieht, ertönt nach nach wenigen Sekunden ein Piepsen, was sich durch einen leichten Druck aufs Gaspedal beenden lässt.

Fahren bei Regen
Sonntagabends hat es dann doch noch kurz geregnet, so dass ich auch dieses Erlebnis im Twizy hatte. Glück hatte ich auch, dass ich eine unerschrockene Beifahrerin gefunden habe (Danke Elke!), die mir dann die Eindrücke des Beifahrers schildern konnte.
Der Fahrer bleibt vom Regen weitgehend unberührt. Einzig die Türen sind auch auf der Innenseite nass. Aus meiner Sicht sind Regenfahrten hier ohne besondere Regenbekleidung machbar.
Der Beifahrer bekommt allerdings immer wieder Tropfen ab, vor allem im Kopfbereich. Längere Fahrten in stärkerem Regen und mit häufigem Gegenverkehr sind so nicht zu empfehlen.

Gepäck
Es gibt hinter der Rücklehne ein abschließbares Gepäckfach, das Platz für eine nicht ganz gefüllte Einkaufstüte oder ein bis zwei Regenjacken hat.

Innenliegender Kofferraumdeckel: Sehr knapper Zugang zu sehr wenig Platz

Innenliegender Kofferraumdeckel: Sehr knapper Zugang zu sehr wenig Platz

Mehr geht in den Twizy nicht rein.
Die beiden Handschuhfächer (rechts abschließbar) im Armaturenbrett tragen ihren Namen beim Twizy wieder völlig zu Recht!

Lautlos?
Gemessen wurde im Innenraum in Höhe des Fahrerkopfs:
im Stand: Kommt darauf an, wo der Twizy steht…
bei 30km/h: 66dB
bei 50km/h: 75dB
bei 80km/h: 84dB

Wie man sieht, ist das Fahrgeräusch im Twizy deutlicher lauter, als das Geräusch im Innenraum eines geschlossenen Pkw.
Ab etwa 75km/h übertönt das Windgeräusch der Windschutzscheibe das Singen des Getriebes.
Sicher könnte Renault durch eine hochwertigere Ausführung der Zahnräder das Geräusch mindern.
Allerdings hat der Twizy so eine Art „natürliches“ Fahrgeräusch, was ein zusätzliches digitales Geräusch überflüssig macht.
Beim Laden ist entwickelt der Lüfter des Ladegeräts ein Geräusch von etwa 60dB (direkt an der Klappe gemessen) bzw. 51dB (in einem Meter Entfernung gemessen).

Fahrleistung
Wenn man aus dem Stand Gas gibt, dauert es knapp eine halbe Sekunde und der Twizy legt los. Die Beschleunigung bis ca. 60km/h ist wirklich gut und man fühlt sich hier zu keinem Zeitpunkt untermotorisiert.
Danach geht es gemäßigt weiter bis zu Höchstgeschwindigkeit (knapp 83km/h nach GPS, Tacho 85km/h).
Bei Vmax wird sanft abgeregelt, was auch gut am Balken für die Leistungsanzeige erkennbar ist, der dann auf zwei von drei Balken zurückgeht.
Auch bei Gefälle lässt sich der Twizy auf Fahrstufe D nicht zu höheren Geschwindigkeiten bewegen.
Wenn es schneller sein muss, hilft nur das Einlegen von Stufe N. Dabei kam der Twizy beim Rollen bergab dann auf 86km/h (GPS).
Auch an hügeligen Strecken an der Bergstraße und im Odenwald reicht die Leistung gut aus, man wird auch dann nicht zum Verkehrshindernis.

Bremsen
Da die vier Scheibenbremsen des Twizy ohne Servounterstützung (und ohne ABS) auskommen müssen, muss man als Fahrer ungewohnt kraftvoll zutreten um eine brauchbare Verzögerung zu erreichen.
Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist eine gute Bremswirkung erreichbar.
Der Twizy hält dabei (auch auf nasser Straße) perfekt die Spur. Zudem kommt es durch das straff ausgelegte Fahrwerk in Verbindung mit dem sehr niedrigen Schwerpunkt nur zu einem sehr geringen Eintauchen.

Lenkung und Fahrwerk
Sehr gespannt war ich auf den ersten Eindruck von Lenkung und Fahrwerk.
Da der Twizy auch bei der Lenkung keine Servounterstützung hat, ist die Lenkübersetzung so gewählt, dass ein Lenken während der Fahrt ohne besondere Kraftanstrengung möglich ist.
Von Anschlag zu Anschlag sind es etwa 2,75 Lenkradumdrehungen.
Im Stand ist das Lenken (je nach Untergrund) schon etwas schwieriger, da ist ein langsames Rollen beim Lenken sehr hilfreich.
Natürlich ist der Twizy für ein „Auto“ sehr wendig, der Wendekreis liegt bei 6,80m.

Sein kleiner Wendekreis lässt den Twizy auch in einem engen Hof Kreise ziehen
(Mein Video dazu auf YouTube).

Beim Einparken sind nach vorne und nach hinten kaum Sichtmöglichkeiten gegeben, was ein knappes Einparken oder die behutsame Annäherung an Hindernisse erschwert.
So ist hinten (keine Rückscheibe vorhanden) das Fahrzeugende nicht zu sehen, und leider lassen sich auch die beiden Rückspiegel nicht so einstellen, dass sie sowohl beim Rückwärtsfahren die Hinterräder zeigen und andererseits den nachfolgenden Verkehr beim Vorwärtsfahren.
Das ist vielleicht auch Übungs-/Erfahrungssache.
Bei schnell gefahrenen engen Kurven übersteuert der Twizy, was aber gut beherrschbar ist. Bei schnellen langen Kurven macht sich der kurze Radstand bemerkbar, dh es fehlt hier an einem Eindruck unerschütterlicher Stabilität. So gesehen ist die Beschränkung auf 80km/h Höchstgeschwindigkeit völlig in Ordnung.

Die serienmäßigen Contireifen sind energiesparend optimiert und fallen auch für ihre schon schmale Nenngröße von 120/80 (vorne) bzw. 145/80 (hinten) sehr schmal aus.

Sehr schmal bereift: Das Vorderrad (120/80) bringt nur ca. 9cm Gummibreite auf die Straße

Sehr schmal bereift: Das Vorderrad (120/80) bringt nur ca. 9cm Gummibreite auf die Straße

Durch den 80er Querschnitt der Reifen fehlt es hier an einer (von mir erhofften) GoKart-mäßigen Präzision. Vermutlich hat sich Renault für diesen Querschnitt entschieden, um eine möglichst gute Eigendämpfung durch die Reifen zu erhalten.
Die Haftung der Reifen ist auch bei Nässe (entgegen meinen Erwartungen) absolut in Ordnung.
Straßenschwellen in verkehrsberuhigten Zonen sind für den Twizy beziehungsweise für seine Insassen ernstzunehmende Hindernisse und sollten wirklich nur im Schritttempo überwunden werden.
Vielleicht muss ich da noch mutiger werden, und einfach mal mit 30km/h darüber fahren…

Verbrauch und Reichweite
Wie immer hängten Verbrauch und Reichweite vom Streckenprofil und dem Fahrerverhalten ab. Bei meinen Testfahrten lag die erreichbare (im Display angezeigte) Reichweite jeweils bei etwa 60km.
Das entspricht einem Verbrauch von etwa 100Wh pro km.
Sicher lässt sich dieser Wert bei einem ruhigeren Alltagsbetrieb um bis zu 20% unterbieten.
Im Display des Twizy werden der Batterieladezustand und die restliche Reichweite laufend angezeigt.

Aufladen
Ich habe jeweils nach etwa 50 gefahrenen Kilometern wieder aufgeladen. Der Akku hatte dann noch etwa 20% Restkapazität (wird beim Laden im Display angezeigt).

Das Display des Twizy zeigt beim Laden den erreichten Ladezustand an

Das Display des Twizy zeigt beim Laden den erreichten Ladezustand an

Am Anfang wird mit genau 10A (2.200W) geladen, dabei werden etwa alle 15min 10% Kapazitätszuwachs erreicht.
Am Ende des Ladevorgangs geht der Ladestrom zurück, so dass (ausgehend von 20%) nach etwa 2h45min die vollen 100% erreicht sind.
Bis dahin waren dann brutto 5,5kWh über den Stromzähler gelaufen.
Übrigens ist das Spiralkabel ab etwa 1,80m Auszugslänge so stark gespannt, dass es den Stecker aus der Dose zieht.

Unter der Klappe sind das Ladekabel (nutzbar bis ca. 2m) und der Behälter der Scheibenwaschanlage untergebracht

Unter der Klappe sind das Ladekabel (nutzbar bis ca. 2m) und der Behälter der Scheibenwaschanlage untergebracht

Einblicke bei abgenommer Bugschürze

Einblicke bei abgenommer Bugschürze

Kosten
Der Kaufpreis beträgt je nach Version und Zubehör rund 8.000,- hinzu kommt noch die monatliche Batteriemiete von 50,- bis 75,- Euro.
Die Steuer beträgt derzeit 22,- Euro jährlich, es ist aber eine Änderung der Kfz-Steuer vorgesehen, so dass der Twizy möglicherweise (wie ein Pkw) für 5 Jahre steuerbefreit wird, schau´n mer mal.
Nach Angaben von Renault liegen die Versicherungsprämien zwischen 130,- (Haftpflicht) und 500,- Euro (mit Vollkaksko) jährlich.
Wenn man eine Lebensdauer des Twizy von 80.000km und einer jährlichen Fahrleistung von 5.000km ausgeht, ergeben sich folgende Kosten (stark vereinfachte Rechnung):
– Wertverzehr pro km: 0,10 Euro
– Batteriekosten pro km: 0,12 Euro
– Versicherung/Steuer pro km: 0,10 Euro
– Stromkosten pro km: 0,02 Euro
– Gesamtkosten pro km: 0,34 Euro
Damit wird klar, dass Twizyfahren kein ausgesprochen billiges Vergnügen ist.
Hier sind ein Dacia Sandero oder ein Smart sicherlich günstiger.
Auch rein praktisch sind beide Auto besser nutzbar:
– Kofferraum
– Geschlossene Türen
– Heizung
– Vollwertiger Beifahrersitz
– Bessere aktive und passive Sicherheit.

Mein Fazit
Wegen der fehlenden Seitenscheiben, der fehlenden Heizung (hätte ohne Türen auch keinen Sinn) und des fehlenden Gepäckraums ist der Twizy weit davon entfernt ein vollwertiges Auto zu sein.
Er ist damit als Auto genauso sinnlos wie ein großes SUV am anderen Ende der automobilen Skala.
Allerdings ist der Twizy sehr gutes Elektrofahrzeug: Kräftig genug, ausreichende Reichweite, geringe Masse und geringe Abmessungen äußerst einfach zu bedienen und daher als Einstieg in eine neue Zeit der Elektromobilität bestens geeignet.
Wer das erleben will, und noch ein oder zwei „richtige“ Autos hat, findet im Twizy ein lustiges Fahrzeug für den „Summer in the City 2012“ mit perfekter Kommunikationswirkung.

Danke an Herrn Schmitt vom Autohaus Lotz in Bensheim, dafür dass ich am letzten Aprilwochende 2012 den Renault Twizy so ausgiebig testen durfte.